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"Wir sollten sofort beginnen"

 

Prof. Dr. Harald Grethe ist Vorsitzender des WBA. Er leitet an der Universität Hohenheim das Fachgebiet Agrar- und Ernährungspolitik.

 

bioland-Fachmagazin: Herr Grethe, das Gutachten lese sich wie ein Parteiprogramm der Grünen, hat ein Kommentator geschrieben. Wie haben Sie Ihr Expertengremium in diesem Fall zusammengestellt?

Prof. Dr. Harald Grethe: Der Kommentator hat entweder das Parteiprogramm der Grünen oder unser Gutachten nicht gelesen. Oder sein Kommentar ist interessengeleitet und wissentlich falsch. Sicher gibt es Überschneidungen mit Vorstellungen der Grünen, vor allem in der Einschätzung, dass der Tierschutz deutlich verbessert werden muss. Allerdings vermischen viele Grüne dies mit strukturellen Vorstellungen: sie meinen, das Betriebsgrößenwachstum müsse gebremst werden und das Problem sei die ‚Massentierhaltung‘. Diese Vorstellung teilen wir nicht, sie entspricht auch nicht dem Stand der Forschung: Tier- und Umweltschutz sind keine Fragen der Betriebsgröße – sie können in großen wie in kleinen Betrieben realisiert werden, oder eben auch nicht. Auch sehe ich bei den Grünen kaum Konzepte, um einer tierschutzkostenbedingten Verlagerung der Tierhaltung in das Ausland entgegenzuwirken; ein Schwerpunkt unseres Gutachtens.

Der WBA ist ein unabhängiges, wissenschaftliches Expertengremium; wir orientieren uns nicht an parteipolitischen Vorstellungen. Ebenfalls wird das Gremium, das aus 14 Professorinnen und Professoren besteht, nicht ‚per Fall‘ zusammengestellt, sondern ist interdisziplinär besetzt und arbeitet langfristig in konstanter Zusammensetzung zu unterschiedlichen Themen.

 

Sie schlagen ein Bündel von Maßnahmen vor, aber müssten nicht gerade die im Gutachten genannten Leitlinien zumindest gesetzlicher Mindeststandard werden?

Grethe: Ohne Begleitmaßnahmen macht das wenig Sinn, denn dann führt eine Verschärfung der gesetzlichen Standards zu einer Verlagerung der Tierhaltung in Länder mit niedrigeren Standards, und wir hätten wenig erreicht. Deshalb kann solch ein Weg nur schrittweise erfolgen. Und es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden. So schlagen wir beispielsweise vor, auf EU-Ebene zu verhandeln, dass Mitgliedstaaten, deren Tierschutzstandards deutlich oberhalb der EU-Mindeststandards liegen, hierfür Ausgleichszahlungen an Landwirte leisten dürfen. So würde die Wettbewerbsproblematik entschärft. Außerdem empfehlen wir, das Instrument der ‚Tierschutzprämien‘ in der Zweiten Säule der EU-Agrarpolitik stark auszubauen, um Landwirte schon heute in eine Richtung zu fördern, die in Zukunft einmal Mindeststandard werden wird.

 

Wie lange wird das dauern?

Grethe: Angesichts der langen Investitionszeiträume wird so ein Umbau 20 bis 30 Jahre benötigen. Das heißt aber nicht, dass man damit nicht sofort beginnen sollte!

 

Noch immer werden erhebliche Summen in Ställe investiert, die später nicht mehr gemäß der im WBA genannten Leitlinien umbaubar sind. Müsste man solche Investitionen nicht als erstes unterbinden – oder zumindest nicht mehr staatlich fördern?

Grethe: Ja. Wir plädieren dafür, die Investitionsförderung noch stärker daran auszurichten, ob und in welchem Maß hohe Tier- und Umweltschutzanforderungen erfüllt werden.

 

Wie hat das BMEL Ihr Gutachten aufgenommen? Welche Wirkung wird dieses in der Politik entfalten?

Grethe: Zur Übergabe hat Staatssekretär Bleser das Gutachten begrüßt und festgestellt, dass es zu Veränderungen in der Nutztierhaltung beitragen wird. Seitdem haben wir keine weiteren Rückmeldungen der Leitungsebene des BMEL.

Das Gutachten richtet sich aber auch nicht nur an das Bundesministerium, sondern auch an die Länderministerien, die Privatwirtschaft und den Deutschen Bundestag. Unser Gutachten hat viel Interesse und kontroverse Diskussionen ausgelöst. In diesen Wochen diskutieren Beiratsmitglieder die Inhalte des Gutachtens im Bundestagsausschuss Ernährung und Landwirtschaft, in Bundestagsfraktionen, den Länderministerien, dem Präsidium des Deutschen Bauerverbandes, der Bauernverbandsversammlungen, dem Kompetenzkreis Tierwohl und anderen Gremien. Wir werben dort für unsere Ideen und entwickeln sie im Gespräch weiter. Die wichtigste Botschaft ist aus unserer Sicht: Im Tierschutz gibt es erhebliche Defizite, diese sind bei hinreichendem politischen Willen zu bewältigen, das gibt es nicht umsonst, es ist aber bezahlbar.

 

Warum spielt der Ausbau des ökologischen Landbaus mit hohen Tierschutzstandards als Modell keine Rolle in Ihrem Gutachten? Wie könnte diese Alternative ausgebaut werden?

Grethe: Der ökologische Landbau ist ein ‚Paket‘, in dem zwar höhere Tierschutzstandards enthalten sind, aber auch vieles andere, mit in der Konsequenz gerade bei Fleisch sehr hohen Preisaufschlägen von teilweise mehreren 100 Prozent. Das ist für viele Verbraucher zu viel und wir halten es deshalb für wichtig, den Tierschutz auch entkoppelt vom Ökolandbau mit einem starken staatlichen Label zu vermarkten.

Außerdem ist ein weiterer Ausbau des Ökolandbaus mit der Frage konfrontiert, wie die geringere Flächenproduktivität kompensiert werden soll. Meines Erachtens ist eine gleichzeitige gesellschaftliche Diskussion um ‚nachhaltigere Ernährungsstile‘, also auch um einen geringeren Konsum tierischer Produkte, unerlässlich.

Schließlich muss sich der Ökolandbau immer wieder dem Wettbewerb mit anderen Produktionssystemen stellen, die ebenfalls tier- und umweltfreundlicher werden. So sind im Ökolandbau zwar tierfreundlichere Haltungssysteme viel stärker verbreitet, als in der konventionellen Landwirtschaft: Mehr Platz, mehr Beschäftigung, Außenklima. Aber das gilt nicht für alle Betriebe und es gibt auch im Ökolandbau erhebliche Tierwohldefizite. Gerade das systematische Monitoring von tierbezogenen Kriterien (Schlachthofbefunde, dokumentierte Selbstkontrolle in Bezug auf Tiergesundheit und Tierverhalten) muss auch im Ökolandbau ausgebaut werden.

Zu guter Letzt: Gerade bei den Haltungssystemen gehen die von uns vorgeschlagenen Leitlinien in eine heute schon im Ökolandbau realisierte Richtung. Insofern funktioniert der ökologische Landbau manchmal wie ein Labor: Es werden Erfahrungen mit innovativen Verfahren gesammelt, von denen Teile später auch in der konventionellen Landwirtschaft eingesetzt werden. Die Mensch-Nutztierbeziehung verändert sich weiter: Nischen, die heute sogar im Ökolandbau als besonders innovativ und tierfreundlich gelten, zum Beispiel mobile Hennenhaltungssysteme, könnten in Zukunft weite Verbreitung finden.

Das Interview führte Annegret Grafen

 

Quelle und Copyright: bioland-Fachmagazin für ökologischen Landbau, Ausgabe 5/2015, www.bioland-verlag.de